Sommer wie Winter : Roman

Taschler, Judith W., 2011
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Medienart Buch
ISBN 978-3-85452-671-1
Verfasser Taschler, Judith W. Wikipedia
Systematik DR - Prosa - Roman - Novelle - Erzählung
Schlagworte Suche nach Mutter, Tiroler Bergdorf, Pflegekind
Verlag Picus-Verl.
Ort Wien
Jahr 2011
Umfang 199 S.
Altersbeschränkung keine
Sprache deutsch
Verfasserangabe Judith W. Tas 4a5 chler
Annotation Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html);
Autor: Angela Zemanek-Hackl;
Manu und Alexander haben einen schweren Autounfall. In den Gesprächen danach erschließen sich ihre Lebensumstände. (DR)

Alexander wird von einer angesehenen Hoteliersfamilie in Sölden als Pflegekind aufgenommen. Er scheint es gut getroffen zu haben. Die Familie ist nett und recht erfolgreich. Sie baut sich gemeinsam eine Pension und ein Fünf-Sterne-Hotel auf. Und die Kinder helfen mit, diese Idylle zu erhalten. Alexander ist einerseits der erhoffte Sohn nach den drei Mädchen, andererseits wird er oft hart hergenommen für die Arbeit im Stall, auf der Alm und im Hotel. Er möchte gern eine weiterführende Schule besuchen, denn er ist ein begabter Schüler. Doch die Familie braucht Unterstützung bei der Arbeit. Alexander ist ein ruhiger Bub und fügt sich. Und doch versucht er, in die Fantasie zu entfliehen. Beinahe erwachsen, macht er sich auf die Suche nach seiner Mutter. Wie es unter der schönen Fassade brodelt und gärt, kommt erst in den Gesprächen nach dem schweren Unfall Schritt für Schritt zutage. Alle erzählen sie vom Alltag, von der Schule und der Arbeit, von den gemeinsamen Weihnachtsfeiern mit ihren Hausgästen und anderem mehr.
Die Brüche im Leben der Protagonisten sind erschreckend. Es sieht alles so harmlos und angenehm aus. Das Buch ist hinreißend, authentisch und tragisch. Es lässt erahnen, wie Menschen in ihren Lebensrollen leiden, und doch können sie dem Druck, der auf ihnen lastet, nicht entfliehen. Ein fantastisches Buch, einfühlsam, eindringlich und kaum aus der Hand zu legen! Für alle Bibliotheken ein Gewinn!

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Quelle: Forschungsinstitut Brenner-Archiv (http://www2.uibk.ac.at/brenner-archiv/);
Eine unglückliche Tiroler katholische Kindheit
Judith Taschler ist mit "Sommer wie Winter" ein spannender kleiner Roman gelungen. Das Kleine bezieht sich auf zwei Aspekte: auf Satz und Buchformat einerseits, und andererseits darauf, dass der Roman weniger traditionelle Erwachsenen- als Jugend-Literatur ist. Eine solche Klassifizierung ist keinesfalls ein ästhetischer Abstrich. Autoren wie Mats Wahl oder Andreas Steinhöfel sind schließlich hoch geschätzte Zeitgenossen. Steinhöfels Coming-of-Age-Saga "Die Mitte der Welt" (1998) schaffte es, wenn ich mich recht entsinne, nach Erstpublikation bei Carlsen ins Literaturprogramm des Suhrkamp-Verlags; umgekehrt kam Peter Schwaigers Adoleszenz-Roman "Vito" (1999) als Erwachsenen-Literatur auf den Markt, während die dtv-Ausgabe sich eindeutig an jugendliche Leser wandte. Es gibt also Werke, welche die Demarkationslinie zwischen erwachsen und jugendlich überschreiten, und "Sommer wie Winter" ist eines davon.
Wie Schwaiger übrigens deckt Taschler ihre Geschichte eines Verbrechens in Protokollform auf, wobei sich bei ihr sechs von sieben Familienmitgliedern in "kleinen" Therapiesitzungen mitteilen, sodass eine geglättete Umgangssprache zu Wort kommt, keine überinstrumentierte Literatursprache. Im Zentrum stehen Alexander Sommer, 19 Jahre, und seine Lebensgeschichte bis zum Zeitpunkt der Aufdeckung eines grausamen Familiengeheimnisses. Schlimmer als eine normale unglückliche Kindheit, schreibt McCourt in "Die Asche meiner Mutter", sei "eine unglückliche irische Kindheit, und noch schlimmer die unglückliche irische katholische Kindheit". Judith Taschler hat jedenfalls das Ihre dazu getan, eine unglückliche Tiroler katholische Kindheit als nicht weniger schlimm zu rekonstruieren: ein Pflegekind auf einem Bauernhof mit Gästebetten und Familienanschluss, viel Stallgeruch und Dorfmief - Sölden im Ötztal vor dem Russentourismus, Mitte der 1970er-Jahre bis Anfang 1990, die Zeit der Therapiegespräche.
Trotz der Distanz des Geschehens zu unserer Zeit bieten Taschlers Protagonisten großes Identifikationspotenzial, und die gewählte Erzähltechnik gewährleistet einen Grisham-Effekt, dem man sich hingeben kann (auch wenn dieser einer additiven Steigerung des "schlimmen" Schicksals geschuldet ist). Taschlers Konzept ist jedenfalls aufgegangen. Ihr Debüt ist mittlerweile in der dritten Auflage. Am 17. September erhält die Autorin den Franz Tumler-Literaturpreis für zeitgenössische deutschsprachige Romane. Ein schöner Achtungserfolg!
*Brenner-Archiv / Literaturhaus am Inn*

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Quelle: Pool Feuilleton;
Oft sind Geschichten so kompliziert, dass sie die handelnden Personen erst nach Jahrzehnten begreifen.
Sommer wie Winter ist eine teuflisch verdrängte Familiengeschichte aus einem touristisch hochgefahrenen ehemaligen Tiroler Bauerndorf. Nicht nur die Jahreszeiten sind im Tourismus mittlerweile verschwunden, indem zwischen Sommer und Winter kein Unterschied mehr gemacht wird, auch in der privaten Sphäre gibt es kaum noch einen Unterschied zwischen vorgespielten Sommer-Verhältnissen und der Kälte der Winter-Realität.
In Judith Taschlers Roman heißen die Beteiligten Sommer und Winter. Offensichtlich ist ein schweres Unglück passiert, denn die Figuren sind alle in psychologischer Betreuung. Aus den Therapiegesprächen wird so die Geschichte rekonstruiert und wenn möglich repariert.
Wie ein Virenscanner läuft der Psychologe über die wunden und infizierten Seelen der Familienmitglieder, die Hauptfigur heißt vorerst Alexander Sommer, aber er wird schließlich adoptiert und nennt sich wie der Rest der Familie Winter. "Aus dem Sommer wird jetzt ein Winter."(168)
Der Leser wird in Therapiestunden in eine seltsame Familienstruktur eingeführt. Im Dorf haben es die Protagonisten zu einem passablen Hotel gebracht, das aber kurz vor der Verpfändung steht. Der Sohn ist adoptiert, weil offiziell der Vater einen Sohn haben wollte. In Wirklichkeit wollte er nur das Kind versorgen, mit dessen Mutter er ein verstecktes Verhältnis gehabt hat. Die leibliche Mutter gilt offiziell als ausgewandert und verschollen.
Allmählich kristallisiert sich heraus, dass hinter den Wechselbädern der Gefühle ein handfester Kriminal-Plot versteckt ist. Ein väterlicher Polizist bringt schließlich einen lang zurückliegenden Fall ins Rollen. Am Ende der Therapie sind alle aufgeklärt und die Figuren versuchen in ein geordnetes Leben zu wechseln.
Judith W. Taschler erzählt eine Familiengeschichte als Kriminalfall mit überraschenden Wendungen. Als Bühne dient einerseits das prosperierende Tourismusleben im Tiroler Gebirge, andererseits die heile Familienwelt, in der die Protagonisten keusch und heilig wie Krippenfiguren aufgestellt sind.
Unter dieser schönen Welt sind freilich alle Beteiligten angeknackst, zerbrochen oder verschwunden. Alles, was man in die Hand nimmt und umdreht, gibt schreckliche Dinge frei, wie auch die Wörter, in der Therapie in den Mund genommen, letztlich eine schreckliche Geschichte frei legen.
Sommer wie Winter ist eine aufregende Familiengeschichte, in der die verdrängten Verhältnisse in heftigen Rucken zum Vorschein kommen. So spielt es sich wohl täglich zig-fach ab zwischen Sölden und Innsbruck, den Hauptorten des Dramas. - Eine kluge Erzählform, um die ewige Tragödie eines scheinheiligen Lebens in den Alpen zu erzählen.
Helmuth Schönauer

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